#OrganizeLove

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9. November 2016 …. Denkt euch den Vorspann zu Amerika hat gewählt usw. … Es ist, wie es ist.

Es ist nicht meine Art mich politisch zu äußern, schon gar nicht auf meinem popligen Blog. Ich schreibe nur, wenn es wirklich nicht anders geht.

Ich mache mir ernsthaft Sorgen, dass sich die Welt da gerade in was wandelt, was mir nicht gefällt. Gestern war ich auf dem TedXBerlin zum Thema Digitale Leadership. Klar, ist ja mein Thema, ich glaube an einen Wandel der Organisation im digitalen Zeitalter. Am Ende waren es aber zwei recht politische Talks, die mich in ihren Bann gezogen haben und besonders heute Morgen so sehr nachklingen.

Von Digital Leadership zu Digital Populism

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Nicht losgelassen hat mich der Talk von Lawrence Lessig aka @lessig, Professor für Rechtswissenschaften in Haward, der unglaublich eindringlich aufgezeigt hat, dass die Demokratie wegen Korruption in den USA nicht mehr existiere und damit symptomatisch für den Rest der „demokratischen“ Welt sei.
Sein Apell an uns: Wir müssen anfangen die Demokratie wieder zu reparieren. Solange das nicht passiere, bleibt der politische Populismus das Fieber der Demokratie. („Populism is the fever of democracy“). Und dabei sei es völlig egal, ob der Populismus von rechts, links oder alternativ komme.

Mit seinem Talk hat er auch an Aaron Swartz) @aaronsw erinnert, der mit 14 Jahren RSS mit erfunden hat, der Gründer von Reddit, The Internet’s Own Boy, der sich für kompletten freien Zugang von Inhalten im Internet einsetzte. Aaron hat 4,8 Mio. wissenschaftliche Artikel aus einem Zeitungsarchiv am MIT illegal heruntergeladen, um sie allen Menschen zugänglich zu machen. Dafür wurde er angeklagt und hätte für 35 Jahre ins Gefängnis gehen sollen. 2013 hat er sich das Leben genommen. Laut Lessig hat Aaron nie verstanden, warum er eine Straftat begangen haben soll, wo er doch Wissen teilen wollte.

Wir, die wir das Digitale verstehen, sollten anfangen dem politischen Populismus endlich den Digitalen Populismus entgegen zu setzen.

(PS: mir als Präsentations-Fetischist hat natürlich die Präsentationsform von Lessig unglaublich imponiert – Respekt!)

The Intellectual Cleaning Woman

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Der zweite Talk, der mich mindestens genauso gefesselt hat, war von Kübra Gümüşay aka @kuebra, Journalistin aus Hamburg: eine inspiriende Frau!

Sie fühlte sich sehr lange wie eine Intellectual Cleaning Women bei dem ganzen Hass, den Vorurteilen, die sie immer wieder im Netz aufräume.

Sie hat erzählt, was das mit ihr gemacht hat, was noch in einem bleibt, wenn man sich nur auf den Hass konzentriere. Ihr Appell, wir sollten aufhören, den Hass zu bekämpfen und viel mehr anfangen wieder Liebe zu organisieren. #organizelove

Das ist doch mal eine Antwort, die wir brauchen auf den aktuellen Trend zu einfachen Antworten auf die Komplexität der Welt.

#OrganizeLove

Ich habe vor etwas mehr als einem Jahr auch angefangen gegen Hater im Netz anzudiskutieren. Manche Tage hat mich der Hass fix und fertig gemacht. Dieses Gehetze gegen Flüchtlinge, diese große Unwissenheit gepaart mit dem Glauben an ein Gestern… Irgendwann habe ich aufgehört, mich mit dem Hass auseinanderzusetzen. Ungefähr zur gleichen Zeit als mein digitales Engagement in die reale Welt gewechselt ist (Nun vor fast genau einem Jahr). Ich hatte den Austausch mit den Frauen und nun Freunden in den Flüchtlingsunterkünften und wir haben soo viele Geschichten über Krieg und Flucht gehört, dass mir dieser platte Hass im Netz nur noch lächerlich erschien.

Ich habe die Hater ausgeblendet aus meiner kleinen Welt und mich auf die Unterstützung der Menschen konzentriert, die es schwer haben hier bei uns im kalten Deutschland Fuß zu fassen. Aus Unterstützung wurde Freundschaft und diese geht gerade jetzt, da die anstrengende Phase, das Tal der Integration angelangt ist, auch in ihre Prüfung. Wieviel Kraft habe ich und wieviel Kraft hat meine Familie, um vielleicht nur zwei syrischen Familien zu helfen, in Deutschland anzukommen?

Aber die Liebe, die ich dabei erfahre durch sie und den Austausch mit anderen, macht immer wieder neue Kräfte frei.

Durch meine Zeiten in den Unterkünften wurde ich wieder zum politischen Menschen, der noch immer keiner Partei angehört. Aber ich habe eine Meinung und baue diese eben auf Erfahrungen auf. Ich werde es nicht müde genau diese Erfahrungen zu teilen. Bis heute jedoch habe ich es vorgezogen, meine Meinung nur mit Leuten zu teilen, wo ich erwarte, dass sie ähnlich ticken.

Es waren gemütliche Gespräche, weil es so viele deutsche Freunde gibt, die immer wieder wissen wollen, was ich erlebe. Ich nehme an, ich habe dadurch die ein oder andere Einstellung zu Integration mitgeprägt.

Ganz besonders stolz bin ich auf meine Eltern, die sich auch lange Zeit nur anhörten, was ich zu berichten hatten und meine Berichte gegen die reinen Informationen aus Medien legten. Anfangs noch waren sie skeptisch. Erinnerten mich gern und häufig an meine eigenen Ressourcen, dass ich doch so schon kaum Zeit hätte neben der Arbeit, den Kindern.

Letztlich kam es so, dass meine Mutter nun ebenfalls bald noch öfter in die Gemeinschaftsunterkunft fährt. Sprachkurse vermittelt, Jobcenter-Besuche begleitet und tut, was sie kann. Ihre Meinung hat sie nun mit eigenen Erfahrungen erweitert, sie hat die Welt in ihr zu Hause gelassen und damit neue Weltanschauung gewonnen.

Gerade, deswegen werde ich heute Abend zu meiner syrischen Freundin zum Tee fahren.
Sie hatte heute ihren ersten Tag als Lehrer-Praktikantin in einer deutschen Grundschule.

Ich weiß, sie wird allein durch ihr Dasein, bewirken, dass die Kinder in dieser Schule eines der komplexen Themen der globalisierten Welt mit einem Gesicht verbinden können.

Sie wird vielleicht sogar Kinder von besorgten Bürgern Fragen aufwerfen lassen, die sie dann getrost am Abendbrottisch ihren AFD-wählenden Eltern stellen können. Sie wird einfach einen unglaublich tollen Job machen, weil sie ein wunderbarer Mensch ist und schon in Syrien eine tolle Lehrerin war. Scheiß drauf, dass wir hier in Deutschland all ihre Erfahrung nicht anerkennen. Sie wird jede Schule, in der sie tätig ist einfach nur bereichern. Ich werde danach nach Hause kommen und wie immer nach den Treffen mit ihr und ihrem Mann, der Welt danken, dass ich sie kennenlernen durfte, dass sie meine Welt reicher gemacht haben.

Und dann werde ich am Sonntag unsere anderen beiden syrischen Freunde, die noch in der Gemeinschaftsunterkunft leben zum Kaffee zu uns einladen. Ich werde ihr Leuchten in ihren durch Sorgen-verklärten-Augen sehen, wenn meine Söhne mit offenen Armen auf sie zurennen. Ich werde mir ihre Sorgen und ihren Kummer anhören, dass es schon wieder nichts mit einer Wohnung wurde, dass es schon wieder nichts mit einem Job wurde.
Werde mit ihnen verzweifeln, wie es sein kann, dass ein so guter Koch wie er, immer wieder durch unbezahlte Praktikas ausgebeutet wird.

Werde sie wieder davon abhalten, dass schwarz arbeiten keine Lösung ist. Wir werden gemeinsam essen und trinken, wir werden vielleicht, wenn nur wir Frauen unter uns sind gemeinsam weinen. Sie wird mir Bilder von dem neuen Baby ihrer Schwester zeigen, dass sie nicht besuchen darf, weil in der Gemeinschaftsunterkunft in Westdeutschland, wo sie lebt, kein Übernachtungsbesuch erlaubt ist.

Wir werden wie immer versuchen aus den Tränen ein Lächeln hervorzuholen. Wir werden uns anstecken mit unserem verheulten Lachen und ich werde Projektideen hervorholen. Wir werden gemeinsam Träume entwickeln.

Danach werde ich wieder zu Hause sitzen und schwanken zwischen Verzweifeln und Hoffen. Wir werden nicht aufgeben. Wir sind Menschen. Ich habe Kinder, ich bin es ihnen schuld, ihnen täglich vorzuleben, dass es immer Hoffnung gibt.

Dass es immer Ideen gibt.
Dass es immer Freundschaft gibt.

Dass es immer Liebe gibt!

Dass Liebe nicht einfach ist.
Einfach ist nur der Hass!
#organizelove

Sobald die anderen Talks online sind, stelle ich sie hier auch noch rein.

Links:

Ein früherer TedX-Talk von @lessig von 2013, der dem von gestern recht nach kommt.

 

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